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Ruetz auf Tour

Skitouren-Experte Lukas Ruetz im Interview

9 Minuten Lesezeit
Der Nordtiroler Skibergsteiger Lukas Ruetz hat sich schon mit Anfang zwanzig einen legendären Ruf in der Skitourenszene erstiegen. Im Interview erklärt er, wie alles losging, was ihn aktuell antreibt und wohin die Aufstiegsspur führen könnte.

Lukas Ruetz ist zwar erst 24 Jahre alt, gilt jedoch in der Skitourenszene als einer der profiliertesten Kenner der nördlichen Stubaier Alpen. In den letzten drei Jahren hat sich der junge Nordtiroler zu einem Botschafter für das Skitourengehen entwickelt und berichtet neben seinem Blog lukasruetz.at in der Kolumne „Schneegestöber“ auf powderguide.com über aktuelle Entwicklungen im und um den Skitourensport. Arnold Zimprich, Redakteur beim Bergzeit Magazin, hat sich mit Lukas über das Skitourengehen im Allgemeinen und das Sellrain im Speziellen unterhalten.

Arnold Zimprich: Lukas, lass uns über das Skitourengehen reden. Seit wann bist Du eigentlich mit den Tourenski unterwegs?

Lukas Ruetz kennt das Sellrain wie seine Westentasche. | Foto: Stefan Herbke
Lukas Ruetz kennt das Sellrain wie seine Westentasche. | Foto: Stefan Herbke

Lukas Ruetz: Meine erste Skitour habe ich erst mit 16 unternommen. Meine Eltern haben mich und meinen Bruder aufgrund unserer eigenen Interessen unterstützt und uns nie die ihren aufgezwungen. Ich wollte von mir aus mal mitgehen mit meinem Vater – so bin ich dazu gekommen.

Du kommst aus Sankt Sigmund, einem kleinen Dorf im Sellraintal. Als Ausgangspunkt zum Skitourengebiet der Pforzheimer Hütte ist es einigen unserer Leser sicher ein Begriff. Welche Ski- und Bergtour hast Du als erstes gemacht?

Puh, gute Frage. Mein Vater hat mich in der Kraxe überall hochgeschliffen. Alleine hab ich dann mit den ersten Hausbergen angefangen und hab „mein“ Gebiet immer weiter erkundet.

„Wenn jemand keine Ahnung hat von dem was er tut, dann ist er für mich extrem“

Dein Vater stand auf mehreren Sechs- und sogar Achttausendern und hat Dir die Liebe zu den Bergen in die Wiege gelegt. Macht er sich nie Sorgen um Dich? Schließlich bist Du inzwischen „extremer“ unterwegs als er…

Lukas Ruetz: „Extremer“ würde ich definitiv nicht sagen. Mein Vater war, glaube ich, die größere Wildsau als ich und hatte etwas weniger Ambitionen im Risikomanagement. „Extrem“ ist sowieso ein irreführender Begriff und komplett subjektiv. Wenn jemand keine Ahnung hat von dem was er tut, dann ist er für mich extrem unterwegs. Und das sind erstaunlich viele Skitourensportler! Am besten zu veranschaulichen am Lawinenthema: Bei einem ausgesprochen hohen Gefahrenpotential eine klassische Skitour im Gelände zu gehen, ist für mich extremer als bei einer klassischen Frühjahrssituation um halb neun vormittags eine Steilabfahrt zu machen. Meine Eltern machen sich öfters Sorgen um mich, das ist doch normal. Sie betonen aber immer wieder, dass sie es positiv finden, dass mein Bruder und ich einer Leidenschaft nachgehen und nicht viel Zeit in Trinken und Feiern „investieren“.

Dein Blog lukasruetz.at hatte 2016 fast 40.000 Unique Visitors. Viele davon Skitourengeher, die schlicht fasziniert davon sind, wie Du die Vielseitigkeit des Sellrain und des gesamten nördlichen Stubais präsentierst und, im Speziellen für das Internet-Publikum, medial aufbereitest. Hast Du mit diesem Erfolg gerechnet?

Nein, zu keinem Zeitpunkt.

Leichter, schneller, greller: Die Skitourenszene versucht seit geraumer Zeit, sich Saison für Saison selbst zu überholen. Aus dem Wettkampfsport hältst Du Dich bewusst raus. Geht Dir das alles etwas zu schnell?

Tage wie diese sind es, die Lukas Ruetz mit den Tourenski ins Gelände locken. | Foto: Stefan Herbke
Tage wie diese sind es, die Lukas Ruetz mit den Tourenski ins Gelände locken. | Foto: Stefan Herbke

Ja, das im Wettkampfsport geht mir zu schnell – ich bin zwar ausdauernd, aber nicht schnell und ein Aufstiegsrennski ist sowas von einer Katastrophe zum Skifahren! Außerdem passt für die Teilnahme an Skitourenrennen die Kosten-Nutzenrechnung für mich nicht. Meine Gesundheit und vor allem meine Psyche sind mir mehr wert. Aber auch der Pace bei den „Standardtourengehern“ wird höher. Ich wirke da wahrscheinlich auch mit – stimmt. Ich denke, ich bewege mich aber irgendwo zwischen dem alten, doch etwas lahmen Bergsteigertum und der neuen, schnellen, wettkampforientierten Strömung. Und was ich speziell hinzufüge, ist die Wissensdimension. Es geht nicht nur um den Sport im körperlichen Sinn und im Sinne der sportlichen Leistung, sondern um alles drum herum. Das hebt mich ziemlich stark vom Großteil der jungen Bergsteiger und Skitourensportler ab, denke ich.

Guter Stichpunkt, denn Du befasst Dich unter anderem intensiv mit den touristischen Entwicklungen in St. Sigmund und im Sellraintal – Deine Familie führt eine Pension im Dorf. Ich persönlich kenne Sankt Sigmund und das Tal seitdem ich Erinnerungen habe, also seit etwa 35 Jahren. Ist es überhaupt noch das „Idyll fernab des Massentourismus“, wie man ab und an liest?

Großteils ja. Vor allem im Vergleich mit dem Rest Tirols: Ich denke hier ans Paznaun (hier liegt das Pistenski-Mekka Ischgl, Anm. der Redaktion), das Ötztal, Stubaital, Zillertal oder die Skiwelt rund um Kitzbühel. Ich schätze es besonders an meiner Heimat, dass der Tourismus zwar einen großen Stellenwert hat – wir aber an den An- und Abreisetagen im Winter mit dem Auto das Tal verlassen können ohne im Stau zu stehen, unsere Dorfgemeinschaften aus hauptsächlich alteingesessenen Familien bestehen und das Personal Tirolerisch spricht. Vor allem, dass es noch uns gehört – nicht irgendwelchen Investoren.

„Die letzten Winter sind definitiv nicht repräsentativ“

Bei uns in Oberbayern sind Pistenskitouren oft bis weit in den Winter hinein die einzige Möglichkeit, überhaupt auf Tour zu gehen. Wie sieht es mit der Entwicklung bei Euch im Sellrain aus?

Lukas Ruetz: Die letzten Winter sind definitiv nicht repräsentativ. Fakt ist: Es wird wärmer, es gibt im Mittel weniger Schnee und die Saisonen werden kürzer – überall im Alpenraum. Jeder Winter wird anders sein und es wird sportlich weniger gute und eher bessere von den Verhältnissen her geben. Das Sellrain wird vor allem dadurch profitieren, dass wir zwar ein sehr niederschlagsarmes Gebiet sind, man aber zu keiner Tour unterhalb von 1.200 Meter startet, beim Großteil sogar über 1.600 Meter. Und, dass wir aus allen Anströmungsrichtungen Niederschlag abbekommen. Die Haupttourenmonate waren und bleiben Feber, März, April, Mai. Da wird sich wenig ändern, denke ich. Ob ich im Dezember auf den Pisten in Kühtai rumhüpfe oder bei etwas besserer Schneelage irgendwo im Gelände zwischen sowieso noch vorschauenden Steinen im Kraspestal, finde ich weniger schlimm.

Der Skisportort Kühtai liegt auf knapp über 2.000 Metern und gilt damit neben den Gletscherskigebieten als eines der schneesichersten Skigebiete Österreichs. Hast Du Angst, dass der Besucherzustrom aufgrund des Schneemangels in niedrigeren Bergregionen problematische Ausmaße annehmen wird – im Speziellen auch hinsichtlich des Skitouren- und Freeridepublikums?

Der Acherkogel gehört zu den etwas anspruchsvolleren Zielen im Sellrain. | Foto: Arnold Zimprich
Der Acherkogel gehört zu den etwas anspruchsvolleren Zielen im Sellrain. | Foto: Arnold Zimprich

Wenn tatsächlich eine Erwärmung von mehreren Grad Einzug hält und man nurmehr in Skigebieten oberhalb von 1.500 bis 1.700 Metern oder gar 2.000 Metern sinnvoll Skisport betreiben kann, dann ja. Ob das Sellrain als Tourengebiet wirklich so bekannt wird, dass der Zustrom problematisch wird, bezweifle ich bzw. liegt das am Ideenreichtum von uns Skitourensportlern selbst. Tourenurlaube macht man schließlich auch in anderen hoch gelegenen Gebieten. Zum Freeriden ist Kühtai aufgrund der Geländestruktur sowieso weniger geeignet.

„Die ich rief, die Geister, werd‘ ich nun nicht los“ –  dieser Satz aus Goethes Zauberlehrling trifft auch auf so manche Modeskitour zu. Hand aufs Herz: Empfindest Du die Flut von Skitourengehern, wie sie an einigen Wochenenden zu beobachten ist, eher als Fluch oder als Segen für die Region?

Was schon ein kleines Problem darstellt, sind die Tagestouristen aus dem Ballungsraum Innsbruck, die nur nutzen, aber nichts da lassen. Einkehren und ein Bier trinken ist in der neuen, vorher angesprochenen Wintersportgeneration nicht mehr üblich. Aber was red ich – ich mach’s auch nur selten, weil ich mir die Zeit dazu nicht nehmen will. Ich empfinde es weder als Fluch noch als Segen, es konzentriert sich alles auf die paar Modetouren. Macht man die Augen auf, findet man genug ruhige Plätze – auch in Zukunft.

Deine Spezialität sind – neben steilen Abfahrten und selten begangenen Grattouren – lange Durchquerungen wie beispielweise die Skibesteigung von Ruderhofspitze und Schrankogel von zu Hause aus – eine 12-Stunden-Tour mit tausenden Höhenmetern. Hast Du Bedenken, dass Dir die Projekte in Deiner Umgebung früher oder später ausgehen?

Nein, sonst fang ich doch noch Eisklettern an (lacht).

2016 hast Du den Aconcagua, mit 6.962 Metern der höchste Berg Amerikas, mal schnell zwischen Tür und Angel abgehakt, um es mal so zu formulieren. In Deinem Blog beschreibst Du recht anrührend, wie Du danach Deinen Eltern Bescheid gegeben hast, die gar nichts davon wussten. Dürfen sich Deine Leser 2017 auf ähnlich waghalsige Aktionen freuen?

Die Aktion war nur zum Teil waghalsig, sondern eher überlegt, nach den vorherrschenden Verhältnissen entschieden und vor allem abgewägt. Mal schauen, Ideen sind jedenfalls vorhanden. Aber hoffentlich wieder mit Ski!

200.000 Aufstiegs-Höhenmeter per Ski und zu Fuß - das schafft Lukas Ruetz in nur einem Jahr. | Foto: Stefan Herbke
200.000 Aufstiegs-Höhenmeter per Ski und zu Fuß – das schafft Lukas Ruetz in nur einem Jahr. | Foto: Stefan Herbke

„Ich bin mit dem Fischer Travers hundertausende Höhenmeter gegangen, ehe er in den Handel gekommen ist“

Du wirst von Fischer gesponsert und kannst Deine Erfahrungen aus dem Skitourensport in die Entwicklung neuer Produkte einfließen lassen. Gibt es bald den „Lukas Ruetz Signature Boot“?

Lukas Ruetz: Muss ich mal beim Produktmanagement anklingen lassen, gute Idee. Aber eigentlich ist der schon im Umlauf: Ich bin mit dem Fischer Travers hunderttausende Höhenmeter gegangen bevor er diese Saison in den Handel gekommen ist. Da steckt einiges von mir drinnen bzw. wenn wer was kaputt macht, das man verbessern muss für die Serienproduktion, bin das relativ oft ich – weil ich halt doch kein Pistenläufer bin, sondern praktisch nur im (hoch-)alpinen Gelände unterwegs. Wir arbeiten jedenfalls schon an was Neuem.

Du studierst Geographie und Biologie in Innsbruck. Hast Du schon eine Vorstellung, was Du beruflich mal machen willst? Wohl kaum etwas „Bergfremdes“, nehme ich an?

Ich studiere beide Fächer auf Lehramt, also eigentlich habe ich meine Berufswahl damit festgelegt. Der Bezug zum Berg ist in beiden Fächern an der Uni Innsbruck sehr stark ausgeprägt: z.B. mit der Erforschung von Sukzessionsstadien – das ist die Wiederbesiedelung von Pflanzen – im Gletschervorfeld oder eben der Erforschung der Schneesicherheit von Skigebieten in der Geographie. Schauen wir mal, meine Familie hat ja auch eine Landwirtschaft, ein Restaurant und eine Pension. Arbeit geht mir jedenfalls nicht aus und sonst bleib ich doch beim Skitourengehen und Kühe melken.

Lukas, wir erwarten gar nicht, dass Du unseren Lesern die letzten Schmankerl im Stubai verrätst. Aber vielleicht hast Du doch einen kleinen Geheimtipp?

Gesund wieder nach Hause kommen - das ist das Wichtigste für Lukas Ruetz. | Foto: Lukas Ruetz
Gesund wieder nach Hause kommen – das ist das Wichtigste für Lukas Ruetz. | Foto: Lukas Ruetz

Wenn ich jedes mal was verraten würde, wenn mir diese Frage gestellt wird, dann gäbe es schon keinen Geheimtipp mehr. Mein Tipp: Leute, geht verhältnisangepasst. Wenn es zum Beispiel im April einiges an Neuschnee gibt und dann zwei Tage die Sonne scheint, geht man darauf – sollte es die Lawinenlage natürlich zulassen – schattige und hoch gelegene Touren, dort findet man noch Pulver und erwischt nicht irgendwo sonnseitig Bruchharsch.

Wenn Du noch einen alpin- bzw. skitourensportlichen Wunsch für 2017 offen hast  – dann raus damit!

Mich weiterentwickeln und immer gesund zu meiner Familie nach Hause kommen.

Lukas, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch und wünsche Dir ein verletzungsfreies, erfolgreiches Berg- und Skijahr 2017!

Lust, selbst eine Tour zu machen? Hier geht’s zur Ausrüstung!

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