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Herr der Wolle

Jeremy Moon: Der Icebreaker-Gründer im Interview

10 Minuten Lesezeit
1994 stolperte Jeremy Moon beim Wandern über die Merinofaser. Bis 2013 war er CEO von Icebreaker und ist noch immer täglich in Merinobekleidung unterwegs. Florian Fischl sprach mit dem Neuseeländer über Schafe, Mantras und Zukunftsvisionen.

„Born from nature“ – der Ursprung und Wert von Merinowolle

Florian Fischl: Du bist 1994 beim Wandern in Neuseeland quasi über Merinowolle „gestolpert“. Kanntest Du Dich damals mit Schafen und Schafwolle etwas aus oder hat Dich das erste Treffen mit Merinofarmer Brian Brackenridge komplett kalt erwischt?

Icebreaker-Gründer Jeremy Moon trägt seit über 20 Jahren Merino - jeden Tag. | Foto: Icebreaker
Icebreaker-Gründer Jeremy Moon trägt seit über 20 Jahren Merino – jeden Tag. | Foto: Icebreaker

Jeremy Moon: Ich hatte keine Ahnung, was ein Merinoschaf ist! Damals dachte ich, ein Schaf ist ein Schaf. Wolle habe ich gehasst, weil ich sie nur schwer und kratzig kannte. Als ich 1994 unterwegs war, trug ich ein synthetisches T-Shirt, das nach mehreren Tagen übel gestunken hat – bis ich Brian traf und mir die Lichter aufgingen. Seine Merinowolle war leichter und fing auch nicht zu riechen an. Das einzigartige Gefühl dieser weichen Wolle auf der Haut war unglaublich, und ich musste keine Kompromisse mehr eingehen wie bei synthetischen Materialien. Ich dachte mir, wenn ich diese Wolle weltweit verkaufen könnte, dann könnte ich mein Leben lang um die Welt reisen!

Wie genau funktioniert Merinowolle am Körper, was macht sie so einzigartig?

Jeremy Moon: Merino ist eine Naturfaser, die am Körper getragen klimaregulierend wirkt. Wenn nötig, speichert die Merinowolle Wärme. Wenn man dann eine Pause einlegt, gibt sie diese Wärme an den Körper ab. Für unsere Outdooraktivitäten bedeutet das, dass uns in Merino nicht so leicht kalt wird.  Ist es zu warm, dann leitet die Merinowolle die Hitze vom Körper weg und sorgt für Kühlung – und das selbst unter Belastung im Sommer. Das Beste an Merino ist, dass es zu 100 Prozent aus der Natur stammt und die gesamte „Technologie“ in den Fasern enthalten ist.

In welchen Situationen schätzt Du Merinobekleidung am meisten?

Jeremy Moon: Ich habe in den letzten 19 Jahren jeden Tag Merinowolle getragen. Nicht weil ich die Firma leite, sondern weil ich unglaublich begeistert davon bin, was die Fasern in den verschiedensten Situationen für mich machen. Selbst wenn man vom Sport absieht, liefert Merinowolle einen unglaublichen Mehrwert. Die Faser ist sehr leicht und passt sich permanent an die Umgebung an. Egal ob man im Büro ist oder mit dem Auto unterwegs – Merinowolle ist wie geschaffen für Mobilität und fördert Bewegung ohne Kompromisse. Außerdem kann man mehrere Merinoschichten wunderbar kombinieren, ohne die Funktion zu verlieren. Wenn die Fasern aufeinanderliegen, verhält sich das Ganze wie eine atmungsaktive Einheit auf der Haut.

Gibt es Unterschiede in der Qualität der Merinowolle, zum Beispiel je nach Weideregion oder Witterung, oder braucht es für beste Qualität einfach nur glückliche Schafe?

Reguliert das Körperklima, nicht nur vom Schaf: "Merinowolle trägt die Funktionalität in sich", sagt Jeremy Moon. | Foto: Icebreaker
Reguliert das Körperklima, nicht nur vom Schaf: „Merinowolle trägt die Funktionalität in sich“, sagt Jeremy Moon. | Foto: Icebreaker

Jeremy Moon: Oh ja, es gibt gewaltige Unterschiede. Ich vergleiche es gerne mit Wein. Es gibt außergewöhnlich guten Bordeaux, es gibt aber auch Bordeaux, der gar nicht gut schmeckt. Grundsätzlich hängt die Qualität der Merinowolle enorm von ihrer Beschaffung und Herkunft ab. Die Fasern müssen äußerst sorgfältig kontrolliert werden, um für hochwertige Kleidung überhaupt in Frage zu kommen. Wird dies nicht gemacht, kann es sein, dass die Wolle, zum Beispiel aufgrund von Witterungseinflüssen, kratzig wird.  Die „Faser-Factory“ von Icebreaker erstreckt sich über ein gewaltiges Gebiet in den neuseeländischen Südalpen. Jedes Jahr verarbeiten wir etwa 1.600 Tonnen Merinofaser, etwa ein Viertel der Produktion. Um eine konstante und hochwertige Faserqualität zu gewährleisten, sind wir sehr darauf bedacht, langjährige Verträge und Premium-Konditionen mit unseren Merinofarmern zu realisieren.

Sommerkollektion – Vielfältigkeit und Funktion

Die 2014 Sommerkollektion ist enorm vielfältig. Woher kommt die Inspiration für eine so bunte und abwechslungsreiche Kollektion?

Jeremy Moon: Wir haben ein unheimlich kreatives Produktteam. Alle sind daueraktiv und alle bewegen sich sehr nah an der Sport- und Modeszene. Für die Sommerkollektion 2014 wollten wir neue Wege in die Kleiderschränke der Kunden finden und Merinokleidung als optimale Lösung für immer mehr Aktivitäten ins Spiel bringen. Wir wissen, dass Leute begeistert sind, wenn sie das erste Mal Merinowolle tragen. Also haben wir überlegt, wie wir diese Erfahrung erweitern können. Aufgrund der Tatsache, dass Merino klein packbar, leicht und fast faltenfrei ist, hatten wir viele neue Anknüpfungspunkte. Wir verwenden beispielsweise die gleichen Fasern, die seit jeher in teuren italienischen Anzügen verwendet werden – nur ist von Italiens Edelschneidern noch niemand auf die Idee gekommen, die Faser in Outdoorbekleidung zu verwenden.

Auch der Winter 2014/15 wird spannend. Die „Art of Nature“-Linie beruht auf einer Kooperation mit Schneeschuhkünstler Simon Beck und der globalen Klimainitiative „Protect Our Winters“ (POW). Was steckt dahinter.

Jeremy Moon: Icebreaker stand schon immer dafür, das Eis zu brechen und Leute in Kontakt zu bringen. Dafür sollen unsere Produkte Gesprächsstoff liefern. „Icebreaker“ bedeutet für uns aber auch, eine neue Beziehung zwischen Menschen und der Natur herzustellen. Wenn die ganze Outdoorbranche Leute mit der Natur verbinden möchte, dann macht es keinen Sinn, wenn wir mit synthetischer Kleidung herumlaufen. Das hat mich in den ersten Jahren wahnsinnig gemacht und gleichzeitig angetrieben. Als ich Simon Beck das erste Mal traf, war ich komplett verblüfft von seiner Schneeschuhkunst. Simon nutzt seine Vorstellungskraft und seine Kreativität, um seine Beziehung zur Natur mit spontanen und wundervollen Designs im Schnee zu definieren. Statt einem Pinsel drückt er sie mit einem Element der Natur aus. Gleichzeitig finde ich es äußerst beeindruckend, was Jeremy Jones mit seiner globalen Klimainitiative „Protect Our Winters (POW)“ bislang erreicht hat. POW geht direkt in die Schulen und klärt die jüngere Generation über unser Klimaproblem auf, sodass sie rechtzeitig bewusste Entscheidungen im Alltag treffen. Meine Töchter erzählen mir die ganze Zeit davon, dass man seinen Müll reduzieren und kein Wasser verschwenden soll. Ich finde alles, was darauf abzielt, eine komplette Generation positiv zu beeinflussen, einfach großartig. Diese Gedanken haben uns zu einer Zusammenarbeit geführt.

Die Chancen und Herausforderungen des Merino-Booms

Wolle hat eine geschuppte Oberflächenstruktur, die die Eigenschaften der Faser maßgeblich beeinflusst. | Foto: Icebreaker
Wolle hat eine geschuppte Oberflächenstruktur, die die Eigenschaften der Faser maßgeblich beeinflusst. | Foto: Icebreaker

In manchen Produkten verwendet Icebreaker einen geringen Kunstfaseranteil, vorwiegend elastische Fasern. Was bieten solche Fasermischungen für Vorteile?

Jeremy Moon: Wenn wir erkennen, dass eine bestimmte Faserart die Funktion von Merino erweitern kann, dann verwenden wir es als strukturelles Element in unseren Produkten. In der Icebreaker GT-Serie zum Beispiel verwenden wir 96 Prozent Merino und vier Prozent Lycra (Elasthan). Lycra bildet in diesem Fall den Kern des Garns und ermöglicht beim Tragen eine erweiterte Stretch-Funktion. Außerdem trägt es dazu bei, dass die Merinokleidung noch schneller trocknet. Das oberste Ziel bei Fasermischungen ist es, noch mehr aus der Merinowolle herauszuholen. Ein weiteres Beispiel ist das Merinoloft-Material, was wir in unserer 2014/2015 Winterkollektion verwenden.

Gibt es eine Eigenschaft von Merinowolle, die Dich wahnsinnig macht und die Du gelernt hast zu akzeptieren, weil Du sie nicht ändern kannst?

Jeremy Moon: Wir haben schon oft Grenzen erfahren, aber wir haben immer gute Lösungen gefunden. Wir haben es geschafft, den Komfort in unseren Produkten zu optimieren und wir haben auch einen Weg gefunden, damit Merinowolle verschiedenste Farben gut hält. Wir haben Merino wasserfest und fast faltenfrei gemacht und haben neue Konzepte entwickelt, wie Merino noch leichter wird, als es ohnehin schon ist. Ich möchte nicht arrogant klingen, aber ich liebe die Herausforderung, eine gewisse Frustration durch Kreativität zu überwinden. Ich bin absolut überzeugt, dass Merinowolle eine einzigartige Faser ist. Die Einschränkung, dass Merino nicht ganz so schnell trocknet wie synthetische Stoffe, sehe ich als unerheblich, denn der Trade-off ist, dass Merinowolle Feuchtigkeit nutzt, um die Temperatur am Körper zu regulieren. Das bedeutet, dass ich während oder nach einer Belastung mit Merino nicht frieren werde. Das ist ein großer Mehrwert und wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich immer Merinowolle über alle anderen Fasern wählen.

Von der Wurzel des Produkts bis zur Wurzel des Erfolges

Rund 100 Farmerfamilien gehören zu Icebreakers Lieferanten. Wo genau ein Produkt herkommt, verrät seit Jahren der "Baacode". | Foto: Icebreaker
Rund 100 Farmerfamilien gehören zu Icebreakers Lieferanten. Wo genau ein Produkt herkommt, verrät seit Jahren der „Baacode“. | Foto: Icebreaker

Die Merino-Farmer sind an der Wurzel des Produkts. Wie kann man sich eine typische Merinostation vorstellen?

Jeremy Moon: Naja, es ist tatsächlich so, dass die Schafe selbst einen Großteil der Arbeit erledigen. Um hochwertige Merinowolle liefern zu können, ist es wichtig, dass die Tiere zu jeder Zeit uneingeschränktes, natürliches Verhalten zeigen. Nur dann sind sie gesund, was für unsere Ansprüche an Tierethik maßgeblich ist. Gleichzeitig sind uns die Beziehungen zu den einzelnen Familien auf den Merinostationen enorm wichtig. Wir arbeiten mit über 100 Familien eng zusammen und jede der Familien kümmert sich um rund 20.000 Merinoschafe auf durchschnittlich 16.000 Hektar Fläche. Auf den Stationen arbeiten meist etwa fünf Personen, wobei die Arbeit auch immer mehr jüngere Menschen anzieht. Es ist wunderbar zu sehen, wie die Menschen auf den Stations einen tiefgehenden Draht zur Natur pflegen – sie bauen ihr eigenes Gemüse an, Hühner und Schweine laufen herum und sie produzieren teilweise ihre eigene Elektrizität. Sie sind mehr oder weniger Selbstversorger. Zu den Anfangszeiten von Icebreaker waren die Merinofarmer diejenigen, von denen ich mit am meisten gelernt habe. Sie haben mir alles über die Faser erzählt, das Spinnen und Stricken. Der intensive Austausch mit den Merinofarmern ist nach wie vor ein großer Grund für den Erfolg unserer Produkte.

Als Naturfaserprodukte sind Icebreaker-Teile enorm umweltfreundlich. Wie wichtig ist dieser Aspekt?

Jeremy Moon: Der Lebenszyklus von Icebreaker-Produkten ist äußerst nachhaltig. Merino stammt zu 100 Prozent aus der Natur und ist komplett erneuerbar. Die Umwelt wird also während der Gewinnung und Produktion deutlich weniger belastet als bei der Herstellung von synthetischer Kleidung. Wenn das Produkt beim Kunden ankommt, geht das Umweltbewusstsein theoretisch weiter: Da die äußere Schicht von Merinofasern etwas angeraut ist, verhindert sie die Ansiedlung von Bakterien. Aus diesem Grund stinkt Merino nicht und kann dadurch seltener gewaschen werden. Die Lebensdauer der Wolle ist außerdem sehr hoch, weshalb der Kunde lange Freude an seinem Merinostück hat. Das ist die Natur in ihrer vollen Pracht!

Pionier und Visionär in einem globalen Merinomarkt

Wenn das ganze Eis gebrochen ist, was ist Deine Vision für Icebreaker?

Icebreakers "Merino-Factory" in den Neuseeländischen Südalpen ist beinah grenzenlos. | Foto: Icebreaker
Icebreakers „Merino-Factory“ in den Neuseeländischen Südalpen ist beinah grenzenlos. | Foto: Icebreaker

Jeremy Moon: Wir wollen in die Köpfe der Leute, aber auf eine positive und unaufdringliche Art und Weise. So als würden wir ab und zu ihr Bewusstsein anstupsen. Wir wollen eine emotionale Bindung erzeugen, die es uns erlaubt, wunderbare Produkte herzustellen für Leute, die so denken wie wir. Die Natur ist anpassungsfähig, erneuerbar und symbolisch. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir diese Eigenschaften auch auf ein Unternehmen übertragen können. Es verlangt viel Disziplin, aber das Resultat kann großartig sein. Icebreaker ist wie eine laufende Case-Study und wir geben unser Bestes für ein nachhaltiges Geschäftsmodell, in dem wir permanent darüber sprechen, was wir gut und was wir nicht so gut machen – und wo wir uns, angesichts unserer Umwelt, verbessern können.

Reine Neugierde: Wie startest Du in den Tag? Gibt es ein Mantra, das Dich antreibt?

Jeremy Moon: (Lacht) Es gibt einige Mantras, nach denen ich lebe. Eines davon ist „es wird funktionieren, wenn ich es nicht versau“. Als es mit Icebreaker los ging, habe ich es als meine wichtigste Aufgabe gesehen, mich selbst nicht in den Weg eines solch einzigartigen Produktes zu stellen. Erst wenn ich das schaffen würde, könnte Merino richtig abheben. Heute arbeite ich in einem schnelllebigen Markt mit wunderbaren Menschen. Ich finde, wenn eine Idee sehr gut ist und auch die Leute dahinter super sind, dann sind die Weichen für Erfolg schon mal gestellt.

Mehr Interviews spannende Infos zu Merino & Co. im Bergzeit Magazin

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