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Neue Norm am Klettersteig

Was ändert sich durch die neue Klettersteigset-Norm EN 958?

7 Minuten Lesezeit
Seit Anfang Mai 2017 gilt die neue Norm EN 958 für Klettersteigsets und mit ihr auch neue Sicherheitsstandards. Was ändert sich durch die neue Norm? Und kann man Klettersteigssets mit der alten Norm immer noch verwenden?

Warum wurde die Norm für Klettersteigsets überarbeitet?

Die neue Norm EN 958 zieht neue Prüfungsverfahren für Klettersteigsets nach sich. So wird das Klettersteiggehen speziell für leichte Personen zwischen 40 und 50 Kilogramm sicherer. | Foto: Climbing Technology
Die neue Norm EN 958 zieht neue Prüfungsverfahren für Klettersteigsets nach sich. So wird das Klettersteiggehen speziell für leichte Personen zwischen 40 und 50 Kilogramm sicherer. | Foto: Climbing Technology

Die Meldung geisterte ja schon eine ganze Weile herum: Eine neue Klettersteigset-Norm solle es geben, denn die alte besitze keine Aussagekraft für besonders leichte Menschen unter 50 Kilogramm. Das führte in der Vergangenheit zu der etwas seltsamen Situation, dass Klettersteigsets für leichte Klettersteiggänger zwar empfohlen werden konnten, aber keiner angemessenen Zertifizierung unterlagen – Grundlage war ein Laborversuch mit 80 Kilogramm.

Diese Situation war lange unbefriedigend – und so wurde schließlich die Norm EN 958:2011 zur EN 958:2017 überarbeitet.

Fragen und Antworten zur neuen Klettersteigsetnorm

Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten zur neuen Norm für Klettersteigsets zusammengefasst. Fehlt etwas oder ist etwas unklar? Dann schreib es unten ins Kommentarfeld und wir antworten oder fragen nach!

Welches Prüfverfahren liegt der neuen EN 958:2017 zugrunde?

Die überarbeitete Norm erfordert nun fünf verschiedene Prüfverfahren bei Klettersteigsets. Diese werden im Prüflabor durchgeführt, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Es verändert sich insbesondere das Prüfgewicht und die Länge des Bremswegs – also die Länge, über die der Bandfalldämpfer des Klettersteigsets aufreißt (von maximal 120 auf 220 Zentimeter).

Das Testverfahren umfasst simulierte Stürze mit:

  • 40 Kilogramm mit einem Bremsweg von maximal 220 Zentimetern und einem Fangstoß von maximal 3,5 kN
  • 120 Kilogramm mit einem Bremsweg von maximal 220 Zentimetern und einem Fangstoß von maximal 6 kN
  • 120 Kilogramm im nassen Zustand mit einem Bremsweg von maximal 220 Zentimetern und einem Fangstoß von maximal 6 kN
  • Zyklustest für Lastenarme: Simulation

Warum wird bei der neuen Norm auch in nassem Zustand getestet?

Der „Nasstest“ hat einen einfachen Hintergrund, erklärt Skylotec-Produktentwickler Robert Krüger: „Vor einigen Jahren kam es aufgrund eines nassen Bandfalldämpfers zu einem Totalversagen eines Systems. Der aus Polyamid hergestellte Bandfalldämpfer veränderte seine Eigenschaften mit zunehmender Wasseraufnahme gravierend. Die Fasern quollen auf. Bei einer stark dynamischen Belastung (Sturz) konnten sie sich aufgrund ihrer Volumenzunahme im Webkonstrukt nicht mehr entfalten bzw. arbeiten. Aufgrund der ‚Enge‘ im Webkonstrukt konnte es sogar zum Abriss/Bruch der Fasern kommen.“

Doch die Industrie hat zum Glück reagiert, wie Krüger betont. „Nahezu alle Hersteller haben dies in den letzten fünf bis sieben Jahren erkannt und die Materialwahl bei den Bandfalldämpfern auf Polyester und/oder ein Dyneema-Polyester-Gemisch umgestellt. Die Wasseraufnahme dieser Fasern ist geringer. Der maximale Fangstoß darf hier allerdings auch bei 8 kN liegen.“ Der Test wurde aus der UIAA Standard 128 in die neue EN-Norm übernommen.

Wer sollte sich ein Klettersteigset nach der neuen Norm zulegen?

Interessant sind Klettersteigsets nach der neuen Norm insbesondere für Personen, die sich, so Robert Krüger, „mit Ihrem Körpergewicht an der normativen Ober- und Untergrenze bewegen“. Diese Grenzbereiche liegen zwischen 40 und 50 Kilogramm oder zwischen 90 und 120 Kilogramm.

  • Für Personen zwischen 40 und 50 Kilogramm gewährleistet die neue Norm ab sofort eine sichere Anwendung.
  • Für Personen mit einem Gewicht von 50 bis 90 Kilogramm sind Klettersteigsets nach der alten Norm, die noch weiter verkauft werden, sehr gut weiter verwendbar.
  • Bei der oberen Grenze ist Folgendes zu beachten: Bei der alten Norm oblag es den Herstellern, das Höchstgewicht anzugeben. Die Definition der Gewichts-Obergrenze war, erklärt Edelrid-Produktmanager Philippe Westenberger, „bei der alten Norm dem Hersteller überlassen und nicht definiert.“ Üblich waren hier Angaben bis 90 bzw. 120 Kilogramm. Personen, die gemeinsam mit ihrer Ausrüstung mehr als 90 Kilogramm wiegen, haben also zwei Möglichkeiten: Entweder sie kaufen ein Set nach der alten Norm, in dem die Eignung für ihr Gewicht explizit ausgewiesen wird. Oder sie kaufen ein Klettersteigset nach der neuen Norm.

Wie erkenne ich, ob ein Klettersteigset der alten oder neuen Norm entspricht?

Im Bergzeit Shop erkennst Du das an der Produktbeschreibung der jeweiligen Klettersteigsets.

Welches Klettersteigset welche Norm hat, ist im Bergzeit Shop unter "Konstruktion" bei den Produkteigenschaften des jeweiligen Klettersteigsets zu finden.
Welches Klettersteigset welche Norm hat, ist im Bergzeit Shop unter „Konstruktion“ bei den Produkteigenschaften des jeweiligen Klettersteigsets zu finden.

Warum werden Sets nach der alten Norm weiterhin verkauft?

Klettersteiggeher/innen zwischen 50 und 90 Kilo können weiter bedenkenlos zu den Sets nach der alten Norm greifen. Klettersteiggeher zwischen 90 und 120 Kilogramm sollten sich hingegen bei einem Klettersteigset nach der alten Norm informieren, bis zu welchem Gewicht es geeignet ist.

Edelrid-Mann Philippe Westenberger: „Die alte Norm war ja nicht per se unsicher. Und gerade im Bereich von 80 Kilogramm sicherlich auch sehr gut ausgelegt. Die neue Norm ist jedoch noch sicherer und entspricht dem Stand der Technik.“

Die Sets nach der alten Norm werden weiterhin verkauft. Alle neu produzierten Klettersteigsets entsprechen hingegen der Norm EN 958:2017 und ersetzen so nach und nach die alte Norm. Klettersteiggeher zwischen 40 und 50 Kilo sollten also in jedem Fall zur neuen Norm greifen.

Ist mit der neuen Norm das Gewichtsproblem von Kindern und Jugendlichen am Klettersteig gelöst?

Das hängt vom Gewicht ab, erklärt Philippe Westenberger von Edelrid: „Garantiert wird eine Untergrenze von 40 Kilogramm. Ich würde hier aber generell von einer Pauschalaussage abraten, da 40 Kilogramm nichts über das Können und die körperlichen Vorraussetzungen des Kindes aussagen. Auch ist ein Sturz am Klettersteig trotz Klettersteigset eine äußerst unangenehme Geschichte, bei der, selbst im Falle eines verhinderten Absturzes, noch eine ganze Menge anderer Verletzungen möglich ist. Kinder sollten deshalb i.d.R. nachgesichert werden.“

Für Kinder unter 40 Kilogramm bleibt die Gewichtsproblematik also grundsätzlich bestehen. Es lohnt sich, einen Blick auf unserem Beitrag Klettersteiggehen mit Kindern zu werfen.

Was ist der Zyklustest für Lastenarme?

Gerade bei den elastischen Lastenarmen von Klettersteigsets gab es Probleme. Das soll der neue Zyklustest vermeiden. Dabei handelt es sich, erklärt Robert Krüger von Skylotec, „um eine Ermüdungsprüfung. Die meisten Bergsporthersteller wurden durch die Resultate aus der Praxis belehrt. Die großen Rückrufaktionen im Jahr 2013 hatten ihre Ursache im Versagen der elastischen Lastarme (Flexarme). Durch die im Inneren befindlichen Gummifäden und die permanente Streckung und Entlastung mit zusätzlichem Schmutzeintrag (Staub, Dreck) wurden die tragenden Kettfäden der Flexbänder von innen geschwächt.“

Die Hersteller haben ihre Hausaufgaben gemacht und die Probleme beseitigt – mit der neuen Norm werden die einst beanstandeten Mängel auch einheitlich geprüft. Doch wie sieht der Zyklustest genau aus? 50.000 Mal werden die elastischen Verbindungsarme gestreckt und wieder entlastet, erläutert Krüger: „Dies entspricht ungefähr dem Lebenszyklus eines Klettersteigsets in der Praxis. Nach dem Zyklustest muss die statische Endfestigkeit der Flexarme noch mindestens 12 kN betragen und darf nicht kleiner als 30% der ursprünglichen Festigkeit im Neuzustand sein. Bei nicht-elastischen Lastarmen besteht diese Schwächung durch Ermüdung nicht und die Festigkeit muss 15kN betragen. Hier ist die generelle Alterung von Textilien und die damit verbundene Schwächung durch Umwelteinflüsse (Nässe, Staub, UV-Licht) berücksichtigt.“

Kann ich mich eigentlich in die Lastenarme des Klettersteigsets hineinsetzen?

Die definierte Ansprechkraft (also die Kraft, die das Set aushalten muss, bevor der Bandfalldämpfer aufreißt) lag bisher bei 1,2 kN. Mit der neuen Norm steigt er auf 1,3 kN. Kann ich mich also in Zukunft bedenkenlos ins Klettersteigset wie in eine Sicherungs-Bandschlinge setzen? Philippe Westenberger, Produktmanager bei Edelrid, erklärt: „Umgerechnet hat sich die Ansprechkraft ja von 120 auf 130 Kilogramm gesteigert. Kaum ein Unterschied zu vorher also. Mit einer Bandschlinge, die nach EN 566 22 kN, also 2.200 kg, halten, ist das aber nicht zu vergleichen. Der Grenzwert sollte allerdings reichen, um sich in das Set zu lehnen um zu rasten – genauso wie vorher.“

Fazit zur neuen Klettersteigsetnorm EN 958:2017

Die wichtigste Info für alle Klettersteiggeherinnen und Klettersteiggeher ist:

  • Klettersteigsets nach der „alten“ Norm können weiterverwendet werden, soweit die Person im entsprechenden Gewichtsbereich, also 50 bis 90 bzw. 120 Kilogramm, liegt.
  • Die neue Klettersteigsetnorm ist insbesondere von Vorteil für leichtere Personen zwischen 40 und 50 Kilogramm.

Insgesamt ist das eine erfreuliche Entwicklung. Eine Norm für Kinder-Klettersteigsets ist damit allerdings noch nicht erreicht. Hier muss man sich weiter an die bisherigen Ratschläge halten.

Wir haben die wichtigsten Fragen zur neuen Klettersteignorm zusammengefasst. Fehlt etwas oder ist etwas unklar? Dann schreib uns einen Kommentar und wir fragen bei den Herstellern nach!

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